Das ist aller Gastfreundschaft tiefster Sinn,
dass einer dem anderen Rast gebe auf dem Weg nach dem ewigen Zuhause.

(Romano Guardini)

Willkommen

Neuer Artikel über die Gewohnheit,
Liebe zu verweigern, wo er ihrer mangelt

Die grauen Herren oder Das verlorene Lachen

1973 zeichnete Michael Ende in seinem Roman „Momo“ die Gestalt der „grauen Herren“.

Sie tauchen aus dem Nichts auf und breiten sich in der großen Stadt, in der Momo und ihre Freunde leben, aus. Zu Anfang unmerklich. Doch ihre Zahl wächst von Tag zu Tag. Eine unlebendige Kälte sowie der Rauch ihrer ständig brennenden Zigarren umgeben sie.

Wer sind die grauen Herren? Was wollen sie? Woher kommen sie?

Sie wollen existieren – wie so vieles einfach nur existieren will. Dafür brauchen sie die Lebenszeit der Menschen, denn aus sich selbst heraus können sie ihre Existenz nicht speisen. Ohne die Lebenszeit der Menschen, die sie durch den Rauch ihrer Zigarren in verbrannter Form inhalieren, verschwinden die grauen Herren zurück in das Nichts, aus dem sie kamen. Sie besitzen keine eigene Substanz. Das ist ihr Geheimnis.

Durch List und Einschüchterung gelingt es ihnen, Menschen vom „Zeit sparen“ zu überzeugen. Die Lebenszeit der Menschen fließt fortan in die „Zeitsparkasse“. Doch Lebenszeit kann man nicht sparen. So wenig wie Freude sich mehrt, indem man das Erleben ihrer verschiebt.

Lebenszeit ist jetzt. Freude ist jetzt. Die Versprechen der grauen Herren sind Täuschung.

Die Suggestion von Wichtigkeit

Auch heute gehen die grauen Herren in großer Zahl um. Angst, Argwohn und Apathie spielen ihnen in die Hände.

Sie haben ihre Strategie verändert. „Zeit sparen“ ist nur noch eine ihrer Parolen. Ihre Versprechen heute sind unter anderem Sicherheit und Kontrolle.

Doch schauen Sie sich um! Ist Ihre Welt sicherer geworden durch Masken und Impfungen? Durch Abstand und die Notwenigkeit, sich ständigen Tests zu unterziehen? Haben Sie mehr Zeit durch ständige Erreichbarkeit und alle Abkürzungen, die Effizienz auf Kosten von Qualität bietet?

Die politischen Geschehnisse der letzten Wochen zeigen, wie rasch Scheinsicherheit zerstört werden kann.

Wahre innere Stabilität bedeutet nicht, sich in der Illusion von äußeren Sicherheiten aufgehoben zu fühlen, sondern sich im Bewusstsein aller Unsicherheit geborgen zu wissen.

Diese Geborgenheit beginnt innen. Sie beginnt jetzt.

Wenn Sie die Augen schließen und Ihren Augenblick wahrnehmen, finden Sie dort einen Ort der Ruhe. Nichts bewegt sich. Es gibt einen Boden, der Sie trägt. Eine Luft, die Sie atmet. Ein Herz, das schlägt. Dort beginnt es.

Ein wichtiges Einschüchterungsinstrument der grauen Herren ist die Suggestion von Wichtigkeit. Sie finden sie zum Beispiel in der Inflation des Superlativs. Aber auch im Alltag. Kleine Dinge werden mit großen Worten beschrieben. Da wird die schwelende Absage eines Termins zum Super GAU oder Damoklesschwert, das diesen doch hätte töten können, wäre es gefallen.

Die Suggestion von Wichtigkeit erschafft und hält uns in einem unnatürlichen Spannungszustand. Medien und die Flut aller Informationen, die man zu verarbeiten unfähig ist, tragen das Ihrige dazu bei. Grundanspannung ist ein optimaler Nährboden für allerlei Arten „grauer Herren“.

Das wiedergefundene Lachen

Treten Sie einen Schritt zurück – die Wichtigkeit endet im Un-Wicht, in dem, der wagt zu lachen, dem Narren, der sich von der Welt nicht kaufen, nicht beeindrucken, nicht einschüchtern lässt.

Fragen Sie sich, was das Schlimmste ist, das geschehen kann. Und ob das, was Sie befürchten, wirklich so schlimm ist, wie Ihnen ein unterschwelliges Gefühl von Bedrohung suggeriert. Erweitern Sie Ihre Perspektive und betrachten die große Evolution auf dem Planeten Erde, derer wir Teil sind. Was sehen Sie jetzt?

In einem Zustand der Bedrängnis, Sorge und Panik sind wir nicht in der Lage, empathisch zu sein, klar zu denken und ruhig zu handeln.

Schauen Sie sich um. Die „grauen Herren“ dieser Zeit sind getarnt, doch Sie können sie erkennen, wenn Sie auf die Farben der Angst, auf die Klänge der Hast, auf den Ruf der Unfreundlichkeit, auf alles, was uns im Sinne des Säugetiers Mensch unmenschlich macht, achten.

Und wenn Sie ihn dann erblicken, diesen grauen Herren, dann lächeln Sie ihm zu. Wissend, dass er am Ende dankbar ist, wenn auch er erlöst wird, und das bedeutet in seinem Fall, wenn er erlischt und wieder zu Nichts wird.

Es gibt keine grauen Herren, wenn wir sie nicht füttern. Wir erschaffen sie. Jeden Tag. Jeden Augenblick.

Wir können sie ent-schaffen.


Ich grüße Sie von Herzen

Ananta Corte